Dass die klassische Karriereleiter nichts für mich ist, habe ich früh gemerkt. Im Studium.
In meinem Master "Finance & Information Management" hatten wir oft Anwesenheitspflicht von 9 bis 17 Uhr und zusätzlich Hausarbeiten. Als wir dann meinten, dass dies zu viel sei und einige am Limit ihrer Kräfte, kam die Antwort unseres Professors, dass "wir uns hier im Studium schon mal dran gewöhnen sollen. Dieser Studiengang des Elitenetzwerk Bayern soll die Manager von morgen ausbilden. Ihr habt später noch weniger Zeit."
Kein wünschenswertes Ziel für mich.
Da gefällt mir die Vorstellung eines Karrieregartens viel besser. Aus der aktuellen Ausgabe der Neue Narrative:
Wir sollten uns Karrieren nicht länger als starre Leitern, sondern als lebendige Gärten vorstellen. [...] Wie in einem Garten geht es bei der Karriere also nicht darum, eine einzige, hohe Pflanze zu züchten, sondern ein ausgewogenes, lebendiges System zu schaffen, in dem verschiedene Elemente sich gegenseitig stärken und bereichern.
Mosaikkarriere jetzt, Portfoliokarriere sofort
Die Vorstellung eines Gartens passt wunderbar zu dem Begriff einer Mosaikkarriere: Ich habe mehrere Tätigkeiten oder Einzelstücke, die zusammen ein stimmiges Kunstwerk ergeben.
Auch der Begriff Portfoliokarriere zeichnet ein ähnliches Bild, nur aus einer finanziellen Perspektive: Mehrere Jobs zusammen ergeben ein Portfolio unterschiedlicher Tätigkeiten, die insgesamt krisensicherer sind als ein Job allein.
Ich glaube, eine solche Mosaikkarriere wird traditionellerweise dann gestartet, wenn die eigentliche Karriere rum ist. Vielleicht auch, weil mit steigendem Alter die Weisheit zunimmt.
Das hat mir beispielsweise die etwas ältere und finanziell sehr erfolgreiche Unternehmerin berichtet, die am letztjährigen herCareer Dinner von ihren Erfahrungen erzählt hat:
Menschen begreifen im Laufe ihres Lebens, dass sie viele sind. Dass sie nicht in einer berufliche Rolle ihre gesamten Potenziale verwirklichen können.
Sie wollte neben ihrer Geschäftsführerrolle auch als Coach und sogar als Romanautorin (wenn ich das richtig erinnere) starten. Dahinter steht nicht nur das Wissen, was sie wirklich will, sondern auch die Idee, sich erst abzusichern und das, was sie eigentlich will, später finanziell abgesichert zu tun (unterstelle ich jetzt mal).
Ich versuche das halt nicht später mit 60, sondern jetzt mit 38 (also nicht Romanautor werden, sondern die Mosaikkarriere). Und so geht's nicht nur mir, sondern auch vielen anderen Menschen, die ich über TEILZEIT.TALENTE getroffen habe.
Menschen arbeiten nicht nur in Teilzeit, weil sie ihre Kinder betreuen oder ihre Eltern pflegen, sondern weil ein Job zu wenig ist, um da alle Interessen, Fähigkeiten und Potenziale unterzubringen. Genauso wie ein Garten mit einem hohen Bambusstiel langweilig ist, ist auch eine Karriere mit einer Tätigkeit für viele öde.
Der Preis der Mosaikkarriere
Ich - und alle anderen Mosaikkarrieristen - zahle dafür auch einen Preis. Der ist zwar nicht genau zu beziffern, aber auf alle Fälle da.
Arbeitgeber zahlen nämlich für die Verfügbarkeit eine Prämie: Männer, die 60 Stunden arbeiten, verdienen deutlich mehr als das 1,5fache als Männer, die 40 Stunden arbeiten.
Für diese Beobachtung hat Claudia Goldin den Nobelpreis bekommen (mit der Verfügbarkeit ist nämlich zu großen Teilen auch der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen zu begründen. Diskriminierung spielt laut Golding nur eine kleinere Rolle.) Und ich beobachte das auch in meinem Freundeskreis.
Freunde, die gut sechsstellig verdienen, müssen meistens springen, wenn der Chef ruft. Egal, ob sie gerade Urlaub haben. Dann wird der Urlaub halt verkürzt. Das ist der Deal, der mit einem hohen Einkommen oft einhergeht.
Und in die andere Richtung zählt das eben auch: Je geringer der wöchentliche Stundenumfang, desto geringer auch die Entlohnung (anteilig am Vollzeitäquivalent).
Wenn ich 30 Stunden pro Woche erwerbsarbeite, kriege ich vermutlich den bestbezahltesten Job, wenn ich da meine gesamten 30 Stunden reinstecke. Wenn ich 30 Stunden zwischen zwei Jobs aufteile, zum Beispiel 12 und 18 Stunden, dann komme ich meistens schlechter weg.
Die Portfoliokarriere muss ich mir leisten können
Geld ist wichtig. Geld zahlt die Miete, das Essen und ist auch ein Stück "geprägte Freiheit". So ist halt unsere Gesellschaft organisiert.
Wenn das Haus kreditfinanziert ist, zwei Autos vor der Garage parken und der Familienurlaub in Bali Pflicht ist, dann wird's schwierig, sich der Karriereleiter zu entziehen. Vollzeit bei Siemens, BMW oder Allianz hat wahrscheinlich immer den höchsten Erwartungswert bei der Entlohnung.
Deswegen bleibt es für mich wichtig, dass mich der Kapitalismus nicht zu sehr am Kragen packt. Sonst ist es vorbei mit dem Karrieregarten.
Geld ist einfach vergleichbar, Wirksamkeit nicht
Das vermutlich niedrigere Einkommen einer Mosaikkarriere sagt aber nichts über deren Wirksamkeit aus. Wenn ich Freunde über den Impact ihrer hochbezahlten Rollen reden höre, muss ich mich als Geschäftsführender Vorstand bei TOPS und Mitgründer von TEILZEIT.TALENTE in keinster Weise verstecken.
Es gibt halt keine einfache Skala, an der wir die Wirksamkeit bestimmen können. In der Corona-Zeit haben wir alle gemerkt, dass das Einkommen einfach gar nichts aussagt über die Wichtigkeit eines Jobs. Es waren nicht die Private-Equity-Banker und die Vertriebschefs, die weiterarbeiten mussten, sondern Pflegerinnen.
Ich behaupte, dass Menschen, die versuchen die Vielfalt ihrer Potenziale zu verwirklichen, auch vielfältigen Eindruck hinterlassen.
Mehrere Jobs sorgen für persönliche Unabhängigkeit
Im Finanzmanagement baut man Portfolios auf, um von keinem Einzelposten abhängig zu sein. Wenn Wirecard einfach ein Riesenscam ist, dann trifft mich der Verlust dieser Aktie nicht so stark, wie wenn ich mein gesamtes Vermögen dort geparkt habe.
Genauso trifft mich die Insolvenz meines Arbeitgebers oder das Verschwinden meines Jobs durch KI nicht so stark, wenn ich noch andere Jobs oder andere Einkommensquellen habe.
Wenn ich den Chef oder die ganze Firma nicht mehr ertrage, kann ich durch die Sicherheit mehrer Jobs einfach gehen. Und dieses Wissen macht es mir leicht, meine eigene Unabhängigkeit und Integrität zu bewahren.
Mehrere Jobs bewahren mich auch davor, meine Identität zu sehr mit einem Job zu verschmelzen. Ich bin und bleibe zuerst Moritz und erst dann Mitgründer von TEILZEIT.TALENTE und Geschäftsführender Vorstand von TOPS.